Aus der weiten und bunten Welt der Sozialpolitik: Schwerpunktthemen im Sommersemester 2023

In der Einführungsveranstaltung hatte ich Ihnen die Umrisse dessen erläutert, womit wir uns im laufenden Semester schwerpunktmäßig aus der Welt der Sozialpolitik beschäftigen werden. Die Diskussion entlang der Abbildung „von der Wiege bis zur Bahre“ hat zeigen können, dass wir von der Geburt bis zum Tod kontinuierlich und in verwirrend vielfältiger Ausprägung mit Sozialpolitik konfrontiert sind bzw. werden. Dass die Sozialpolitik für diejenigen hochgradig relevant ist, die in Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft arbeiten, muss nicht wirklich weiter begründet werden. Sie bewegen sich dort inmitten der Sozialgesetzbücher und der vielen Regelungen sowie der Rechtsprechung, was auf das Verfassungs- und Sozialrecht verweist. Der Kern der Arbeit in den allermeisten gesundheits- und sozialwirtschaftlichen Unternehmen bzw. Organisationen sind zutiefst sozialpolitische Aktivitäten und in die entsprechenden politischen Diskussionen eingebunden, bei denen es ja oftmals auch um die Finanzierung bestimmter Aufgaben oder die an vielen Stellen beklagte Unterfinanzierung der Einrichtungen und Dienste geht.

Aber selbst, wenn Sie als Betriebswirt in irgendeinem „normalen“ Unternehmen arbeiten, das auf den ersten Blick ganz weit weg ist von der Sozialpolitik, ob nun bei der Lufthansa, einem Schweineschlachtbetrieb in Nordrhein-Westfalen oder bei einem Start-up aus der mehr oder weniger glänzenden Welt der Digital-Ökonomie, Sie werden andauernd mit sozialpolitischen Themen und Entwicklungen und Diskussionen konfrontiert. Ich hatte das in der ersten Veranstaltung beispielhaft erläutert an den Fragen, die an Sie gerichtet werden, wenn Sie beispielsweise in der Personalabteilung eines der genannten Unternehmen arbeiten.

Wir können angesichts des begrenzten Umfangs dieser einen expliziten Sozialpolitik-Veranstaltung in Ihrem Vertiefungsbereich alle möglichen sozialpolitischen Themen kurz anleuchten, aber davon wird kaum etwas hängen bleiben, außer einige wenige Schlagworte. Dazu ist das sozialpolitische Feld viel zu breit und tief.

Deshalb habe ich Ihnen ein anderes Vorgehen skizziert: Ich werde versuchen, mit Ihnen gemeinsam einen vertiefenden Blick auf ausgewählte sozialpolitisch relevante Bereiche zu werfen. Die Auswahl der vier Schwerpunktthemen von einem Überblick über die demografische Entwicklung gleichsam als roter Faden, mit dessen Hilfe man vielen sozialpolitische Baustellen zumindest besser einordnen kann, über die Analyse, was die demografische Entwicklung für die derzeit beobachtbaren Umwälzungen auf den Arbeitsmärkten (nicht) bedeutet, über einen Blick auf die Pflege, hierbei fokussiert auf die Alten- bzw. Langzeitpflege bis hin zu der Frage, wie es derzeit bei der Rente aussieht, wie man die Debatte über eine (angeblich) zunehmende Altersarmut einordnen kann und wie es mit der Alterssicherung der vielen kleinen Selbstständigen aussieht bzw. aussehen soll, denn viele von denen werden keineswegs auf Rosen gebettet ihren Lebensabend verbringen müssen. Viel Stoff also.

Und wir beginnen mit der Demografie und den Bestimmungsfaktoren der demografischen Entwicklung. Dazu habe ich Ihnen eine erste Foliensammlung im Materialordner auf der Olat-Seite zur Verfügung gestellt.

Und Sie werden sehen – nicht nur, was man durchaus erwarten kann, bei der Vorhersage der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung hinsichtlich der Zahl der hier lebenden Menschen und der Altersstruktur der Bevölkerung tun sich für die meisten von Ihnen auf den ersten Blick schwer verständlichen Spannweiten auf. Das kennt man ja auch von anderen Prognosen bzw. Vorausberechnungen. Auch die reine Betrachtung des Ist-Zustandes kann überraschen hinsichtlich der scheinbaren Widersprüchlichkeit der Aussagen. Dazu aus der Presse nur ein Beispiel von vielen: Vor fast genau einem Jahr, am 11. Mai 2022, wurde unter der Überschrift Höchstes Geburtendefizit seit 1945 berichtet: »In Deutschland gab es im vergangenen Jahr so viele Geburten wie seit 25 Jahren nicht – und dennoch wurde das höchste Geburtendefizit seit 1945 registriert.« Was denn nun, wird der eine oder die andere von Ihnen an dieser Stelle anmerken. Wir werden das in der Veranstaltung auflösen.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Gestern, also der 15. April 2022, war ein Tag, an den sich in Zukunft möglicherweise viele erinnern werden: »Laut UN hat Indien China mit dem heutigen Tag als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt. Während Chinas Bevölkerung stagniert, wächst sie in Indien weiter«, können wir dieser Meldung entnehmen: Der neue demografische Spitzenreiter von Rolf Bauer und Rubi Rubinder Chauhan. Die Bevölkerungszahl von Indien hat sich von 445 Millionen Menschen im Jahr 1960 auf nunmehr über 1,4 Milliarden Menschen erhöht und angeblich, also nach den Schätzungen der UN, haben die Inder nun die Nase etwas vor den Chinesen, was die reine Zahl angeht. Lesen Sie bitte den verlinkten Beitrag von Bauer/Chauhan, der liefert viele interessante Hintergrundinformationen.

Nun kann man an dieser Stelle fragen, warum denn die Bevölkerungsentwicklung in China und Indien relevant sein soll für eine Sozialpolitik-Veranstaltung in Deutschland im Jahr 2023. Auch das werden wir hoffentlich aufschlüsseln können.

Und zum guten Ende ein Lektüre-Tipp über die ganz eigene Welt der Intensivmedizin

Die Teilnehmer an der Einführungsveranstaltung werden sich erinnern: Wir hatten eine interessante Diskussion, bei der die Intensivmedizin eine gewichtige Rolle gespielt hat. Besonders ein Teilnehmer konnte hier mehr als anschaulich berichten. Dazu ist mir diese neue Buchveröffentlichung eines Intensivmediziners eingefallen, die vor kurzem von der Bundeszentrale für politische Bildung in den Verkehr gebracht wurde. Dort kann man das interessante Buch für eine wirklich überschaubare Summe (für 4,50 Euro bekommen Sie das frei Haus geliefert) bestellen:

➔ Daniel Zickler (2023): Kampf um jeden Atemzug. Intensivmedizin in Deutschland, Bonn 2023

»Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal in der Intensivmedizin leisten, oft unter immensem Zeitdruck, das Menschenmögliche, um schwerste Erkrankungen oder den Tod abzuwenden, während die Erkrankten oder deren Angehörige auf Rettung hoffen. Insbesondere die Corona-Pandemie hat wie ein Brennglas das Potenzial, aber auch die Grenzen der Intensivmedizin in Deutschland offengelegt. Daniel Zickler, Oberarzt auf der Intensivstation der Berliner Charité, gibt einen praxisnahen Einblick in den Alltag seiner Station und die alltäglichen Herausforderungen der dort Arbeitenden.
Er schildert den Umgang mit Menschen in Extremsituationen des Lebens, die fatalen Folgen von Überlastung und fehlender Anerkennung und beschreibt das Berufsbild der Pflegekräfte und ihr Selbstverständnis. Viele von ihnen, so Zickler, habe der permanente Zeit- und Kostendruck bereits gezwungen, sich seelisch und körperlich erschöpft aus einem Beruf zurückzuziehen, den sie lieben, andere überlegten, dies zu tun. Eindringlich fordert Zickler dazu auf, sich für personell, wirtschaftlich und strukturell fairere Bedingungen in der Intensivmedizin einzusetzen. Er wirbt zudem für eine Kultur der wechselseitigen Anerkennung: zwischen ärztlichem und pflegendem Personal in der Intensivmedizin, aber ebenso zwischen diesen und den Patienten.«