Am Anfang der Behandlung des demografischen Wandels – und schon landen wir bei der Arbeitsmarktfrage

Wir haben uns beschäftigt mit dem Einstieg in das Themenfeld demografischer Wandel und den Einflussfaktoren auf die demografische Entwicklung. Im vorderen Teil der Ihnen vorliegenden Foliensammlung geht es um die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf viele sozialpolitisch relevante Handlungsfelder. Neben der Diskussion der langen Zeitreihe der Geburtenentwicklung in Deutschland seit dem Jahr 1946 wird Ihnen an zwei Abbildungen illustriert, wie die geburtenstarken Jahrgänge, die „Baby-Boomer“ bereits in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung des Arbeitsangebots verändert haben (schauen Sie sich hierzu beispielsweise die Verschiebung der Altersstruktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an – man erkennt eine deutliche Verschiebung der Altersstruktur der Beschäftigten in höhere Altersgruppen).

nd denken Sie daran, wie stark die altersbedingten Abgänge beim Arbeitsangebot bereits seit vielen Jahren sind (hier relevant der „demografische Faktor“), was dazu führt, dass wir in Deutschland bereits seit längerem jährlich 300.000 und mehr Arbeitskräfte verlieren als unten Jüngere nachwachsen. Und die geburtenstarken Jahrgänge nähern sich gerade erst der Altersgrenze.

Und passend zu unserer Diskussion in der Veranstaltung werden laufend Artikel veröffentlicht, die genau diese Thematik und vor allem die ebenfalls angesprochenen Konsequenzen (z.B. die Frage der Zuwanderung nach Deutschland) aufgreifen.

Da wäre beispielsweise dieser Gastbeitrag in der WirtschaftsWoche von Wido Geis-Thöne, einem Wissenschaftler, der im arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) arbeitet:

Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt: Warum Deutschland das besonders schwer trifft (03.10.2022)*: »Wenn in den kommenden Jahren die Babyboomer in Rente gehen, wird sich die Fachkräftelücke dramatisch verschärfen. Helfen könnte Migration – doch müssen wir dabei das außereuropäische Ausland in den Mittelpunkt stellen, schreibt der Ökonom Wido Geis-Thöne in einem Gastbeitrag.«

*) Im Original wurde der Beitrag übrigens in der wirtschaftspolitischen Fachzeitschrift „Wirtschaftsdienst“ veröffentlicht: Wido Geis-Thöne (2022): Der Arbeitsmarkt erlebt derzeit eine Zeitenwende, in: Wirtschaftsdienst, Heft 9/2022, S. 673–676

Am Anfang des Beitrags finden Sie eine Beschreibung, die wir auch schon diskutiert hatten in der letzten Veranstaltung (Sie erinnern sich an die kritische Behandlung des „Pillenknicks“):

»Das Grundproblem ist der demografische Wandel, der nicht allein Deutschland betrifft. Waren die Geburtenzahlen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark rückläufig, kam es in der Mitte des 20. Jahrhunderts in der gesamten westlichen Welt nochmals zu einem Babyboom, der nicht nur auf ein Nachholen während des Zweiten Weltkriegs nicht möglicher Familiengründungen, sondern auch auf ein deutlich verändertes Heiratsverhalten zurückzuführen ist … In den 1960er Jahren änderte sich dies mit der zunehmenden Emanzipation und Gleichstellung der Frauen wieder grundlegend. Ehe und Kinder verloren an gesellschaftlicher Bedeutung … Gleichzeitig standen den Paaren jetzt bessere Verhütungsmethoden zur Verfügung, die es für sie leichter machten, den Eintritt einer ungewollten Schwangerschaft zu vermeiden, sodass es zu einem starken Absinken der Geburtenzahlen auf Werte weit unterhalb des für den Bestandserhalt notwendig Niveaus von rund 2,1 Kindern je Frau kam. Langfristig hat dies ohne Zuwanderung deutliche Bevölkerungsrückgänge zur Folge, denen bislang allerdings auch eine steigende Lebenserwartung entgegengewirkt hat. Inzwischen ist ein Punkt erreicht, an dem die aus den Arbeitsmärkten ausscheidenden Jahrgänge deutlich geburtenstärker sind als die nachrückenden.«

Bitte lesen Sie den Artikel von Geis-Thöne – auch er spricht den Aspekt der notwendigen Zuwanderung von (vielen, sehr vielen) Menschen nach Deutschland an, um das Arbeitsangebot wenigstens zu stabilisieren, was er aber auch für schwer erreichbar hält angesichts der dafür notwendigen Größenordnung.

In diesem Zusammenhang wurden dann parallel solche Meldungen veröffentlicht:

➔ Philipp Wundersee (2022): Arbeitsmarkt braucht viel mehr Zuwanderer, in: Tagesschau Online, 04.10.2022: »Zuwanderer lindern bereits heute den Fachkräftemangel. Doch die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt nehmen zu. Anwerbungen aus dem Ausland sollen helfen. Ein Problem: Die Wartezeit auf Visa.«

Wir werden auf das Thema Zuwanderung beim dritten Einflussfaktor auf die demografische Entwicklung noch ausführlich zu sprechen kommen.

Auch ich habe zu den Arbeitsmarktfolgen der demografischen Entwicklung in meinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ Beiträge geschrieben. Bitte lesen Sie diese beiden hier:

➔ Stefan Sell (2022): Das große Ausscheiden ist sicher. Fast jede dritte Erwerbsperson erreicht in den nächsten 15 Jahren das Rentenalter, in: Aktuelle Sozialpolitik, 08.08.2022

➔ Stefan Sell (2022): Mangelland: Millionen werden fehlen. Die Baby-Boomer und die Arbeitsmärkte der Zukunft, in: Aktuelle Sozialpolitik, 07.05.2022

Wir werden noch ausführlicher auf die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt allgemein sowie auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft im Besonderen im weiteren Verlauf der Veranstaltung zurückkommen.

Übrigens – die aktuelle Berichterstattung ist voll mit dem Thema, das in den kommenden Jahren ganz viele politische Debatten prägen wird (und Ihren Alltag). Dazu nur ein Beispiel:

➔ »Bereits jetzt kämpfen viele Bundesländer infolge des demografischen Wandels mit einer Beschäftigungslücke. Wir erklären, wo das Problem am größten ist – und warum es regionale Unterschiede gibt«, so Alisha Mendgen in ihrem Beitrag Viele Rentner, wenig Nachwuchs: Hier schlägt der demografische Wandel schon jetzt zu, der am 26. April 2024 veröffentlicht wurde.
»Oft werden der demografische Wandel und der Fachkräftemangel als Probleme von morgen dargestellt. Das sind sie aber nicht. Einige Regionen in Deutschland erleben bereits jetzt, dass viele Menschen in Rente gehen, aber zu wenig in den Arbeitsmarkt nachkommen. Besonders betroffen ist der Osten Deutschlands, wie aus einer neuen Bundesländerauswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter hervorgeht.«
Und auch in dem Artikel taucht eine Zahl auf, die Ihnen noch im weiteren Verlauf begegnen wird: »Das IAB rechnet vor, dass Deutschland zur Abmilderung des demografischen Wandels eine Nettoeinwanderung von bis zu 500.000 Personen pro Jahr benötigt.«