Die USA und ihre Geburtenrate. Die ist auf einem Tiefstand

Wir haben heute bei der Besprechung der Übungsaufgabe die unterschiedliche Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland im Vergleich zu den USA diskutiert – und dabei wurde als eine Möglichkeit für die teilweise andere Entwicklung in den USA eine dort höhere Geburtenrate in den Raum gestellt.

Also schauen wir uns die Fertilitätsrate in den USA und ihre Entwicklung seit 1950 einmal genauer an.

Bereits im vergangenen Jahr wurde darüber auch in deutschen Medien berichtet, beispielsweise in diesem Artikel aus dem April 2024: Geburtenrate in den USA sinkt auf Rekordtief. Dem kann man entnehmen: »Längere Zeit gehörten die USA zu nur wenigen entwickelten Ländern mit einer Geburtenrate, die fast bei etwa 2,1 Kindern pro Frau lag. Das ist der Wert, der den Bevölkerungsstand – abgesehen von Migrationseffekten – auf einem konstanten Niveau hält. Doch seit einiger Zeit sank die Geburtenrate und hat im Jahr 2023 einen Stand von etwa 1,6 erreicht.«

Zum Vergleich: In Deutschland lag die Geburtenrate 2023 bei 1,36.

»Insgesamt wurden in den USA im vergangenen Jahr demnach unter 3,6 Millionen Babys geboren. Das waren etwa zwei Prozent weniger als im Jahr zuvor und so wenige wie seit 1979 nicht mehr.«

»Damit setzt sich ein längerfristiger Trend fort, der nur kurzzeitig unterbrochen worden war. Vor der Coronapandemie war die Geburtenrate in den USA seit über einem Jahrzehnt gesunken. Im Jahr 2021 stieg sie allerdings und verblieb 2022 auf diesem Niveau, was laut Experten damit zu tun hatte, dass Paare die zuvor aufgeschobenen Kinderwünsche nachholten.«

Die Zahlen für 2023 scheinen darauf hinzudeuten, dass dieser Aufschwung vorbei ist und wir zu den früheren Trends zurückkehren, so Nicholas Mark, ein Soziologe von der Universität von Wisconsin.

Langfristig vollzieht sich in den USA damit ein ähnlicher Trend wie in anderen entwickelten Ländern. Weltweit lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung inzwischen in Ländern, in denen durchschnittlich weniger als 2,1 Kinder pro Frau geboren werden.

Wissenschaftler haben sich intensiver und tiefgründiger mit der demografischen Entwicklung in den USA beschäftigt. Von der Max-Planck-Gesellschaft wurde Anfang dieses Jahres von einer neuen Studie berichtet unter der Überschrift: Fertilitätstrends in den Industrieländern neu denken. Studie untersucht den Zusammenhang von gesellschaftlicher Entwicklung und Fertilität in den USA. Die dort besprochene Studie wurde im Original hier veröffentlicht:

➔ Henrik-Alexander Schubert et al. (2024): Revisiting the J-Shape: Human Development and Fertility in the United States, in: Demography, No. 6/2024, pp. 1949–1973

»Die Geburtenraten in den Industrieländern sind weltweit rückläufig, ein Trend, der oft mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung in Verbindung gebracht wird. Eine Studie unter der Leitung von Henrik-Alexander Schubert zeigt, dass die Geburtenraten tatsächlich steigen können, wenn die gesellschaftliche Entwicklung ein hohes Niveau erreicht hat, ein Muster, das als „J-Form“ bekannt ist. Dieser Zusammenhang scheint sich jedoch nach 2010 verschoben zu haben, möglicherweise beeinflusst durch die Wirtschaftskrise 2007/08 und den Wandel gesellschaftlicher Wert.

Die Geburtenraten in den hochentwickelten Ländern der Welt sind rückläufig. Im 20. Jahrhundert wurde der Rückgang der Geburtenhäufigkeit mit den Fortschritten in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Verbindung gebracht, was zu der weit verbreiteten Annahme führte, dass Fortschritt und Geburtenhäufigkeit in einem umgekehrten Verhältnis zueinander stehen. Heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Regionen, in denen die Fertilitätsrate unter dem Reproduktionsniveau liegt. In den hochentwickelten Ländern galt diese niedrige Rate lange Zeit als unumkehrbar. Eine aktuelle Studie von Henrik Alexander Schubert vom MPIDR und seinen Kollegen Christian Dudel, Marina Kolobova und Mikko Myrskylä analysiert den Zusammenhang zwischen menschlicher Entwicklung und Fertilität in den USA zwischen 1969 und 2020. Die Daten zeigen eine bekannte J-Form, aber auch Überraschungen.

„Die Studie zeigt eine dynamische Beziehung zwischen Fertilität und gesellschaftlicher Entwicklung. Zunächst nimmt die Fertilität mit dem Fortschreiten der gesellschaftlichen Entwicklung ab. Dies wird durch die Theorie des demografischen Übergangs beschrieben und erfasst. Bei einem höheren Entwicklungsstand der Menschheit kehrt sich dieser Trend jedoch um und der Entwicklungsfortschritt erhöht die Fertilität. So steigen die Fertilitätsraten bei einem sehr hohen Entwicklungsstand mit zunehmendem Entwicklungsfortschritt bis zu einem gewissen Grad wieder an. Die Umkehrung dieses Geburtenrückgangs hängt eng mit Fortschritten bei der Gleichstellung der Geschlechter in den Haushalten und positiven wirtschaftlichen Aussichten zusammen. In jüngster Zeit scheint sich dieser Zusammenhang jedoch zu entkoppeln“, erklärt Henrik Schubert.

Die Ergebnisse bestätigen zwar, dass die Fertilität im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium wieder ansteigen kann, das beschränkt sich jedoch auf die Zeit vor 2010 und ist konsistent mit verschiedenen Maßen der Fertilität und der gesellschaftlichen Entwicklung. Seitdem ist ein linearer Rückgang der Fertilität in allen US-Bundesstaaten zu beobachten, unabhängig von ihrem individuellen Entwicklungsstand. Diese Verschiebung deutet auf einen möglichen Strukturbruch hin, der mit der wirtschaftlichen Rezession in den USA in den Jahren 2007/08 zusammenfällt und zu einem zehnjährigen Rückgang der Fertilität führte.

Die Studie greift die frühere J-Form-These von Mikko Myrskylä … auf. Im Jahr 2009 veröffentlichte er die Studie „Advances in development reverse fertility declines“, in der er zeigte, dass in Ländern mit einem hohen Human Development Index weitere Entwicklungsfortschritte den Fertilitätsrückgang umkehren. Myrskylä prägte den Begriff „J-Form“, eine Kurve im Fertilitätsdiagramm, die auf einem sehr hohen Niveau beginnt und dann steil abfällt, bevor sie langsam wieder ansteigt und ein umgekehrtes J bildet. Die Kurve stellt den Rückgang und die Erholung der Fertilität in den hoch entwickelten Ländern dar. Die ursprüngliche Studie war und ist Gegenstand zahlreicher Diskussionen. „Unsere Ergebnisse bestätigen die J-Form-Hypothese, deuten aber auch auf eine Entkopplung von Fertilität und gesellschaftlicher Entwicklung in den vergangenen Jahren hin“, erklärt Schubert.«

Interessant sind natürlich auch mögliche familienpolitische (und darüber hinausgehende) Maßnahmen zur Förderung der Geburtenrate – hier liefern die Studienautoren interessante Schlussfolgerungen:

»„Unsere Studie zeigt, dass eine fortschrittliche Politik, die gesellschaftliche Entwicklung, wirtschaftliche Stabilität und die Gleichstellung der Geschlechter fördert, die Fertilität wirksam erhöhen kann“, so der Wissenschaftler. Eine stabile wirtschaftliche und soziale Lage sowie positive Zukunftsaussichten ermutigen Paare, ihre Kinderwünsche zu realisieren. Dies ist besonders relevant, da einige Länder wie Ungarn und Südkorea in jüngster Zeit pronatalistische Maßnahmen zur Förderung traditioneller Familienstrukturen eingeführt haben. Diese Maßnahmen haben jedoch noch keine messbaren Auswirkungen auf die Geburtenraten. Dagegen haben Maßnahmen, die die gesellschaftliche Entwicklung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Gleichstellung der Geschlechter in den Haushalten fördern, das Potenzial, die Geburtenrate langfristig zu erhöhen.«