Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt: In der Gesundheits- und Sozialwirtschaft haben wir es mit einer mindestens doppelten Herausforderung zu tun

Wir haben uns allgemein mit den (erheblichen) Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt beschäftigt. Sie haben kennengelernt, was da gerda ein den kommenden 15 bis 20 Jahren auf uns zu kommt und welche unterschiedlichen Stellschrauben es gibt, mit denen man vielleicht das eine oder andere teilweise kompensieren kann – zugleich würde und wird jede der damit verbundenen Maßnahmen dazu führen, dass neue sozialpolitische Herausforderungen generiert werden, man denke hier nur an die Zuwanderung in die Arbeitsmärkte oder an die vielen älteren Beschäftigten, die man länger im Job halten müsste.

Bezogen auf die große und bunte Welt der Gesundheits- und Sozialwirtschaft haben wir wie in anderen Branchen auch erst einmal die gleichen demografischen Herausforderungen, wenn Sie beispielsweise daran denken, dass auch bei den dort Beschäftigten viele Baby-Boomer in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen werden. Und in Teilbereichen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft haben wir schon heute die Situation, dass man angewiesen ist auf die Beschäftigung von Menschen aus anderen Ländern, man denke hier nur an die Pflege.

Diese überall wirkende demografische Herausforderung wird aber in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft nochmals verschärft durch branchenspezifische Besonderheiten – so scheidet ein nicht kleiner Teil der dort in Teilbereichen tätigen Menschen aufgrund von Erwerbsunfähigkeit vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus und steht dann für die personalintensive Arbeit nicht mehr zur Verfügung. Vgl. nur als ein Beispiel schon aus dem Jahr 2016 meinen Beitrag (Auch) Sinnkrisen treiben Pflegekräfte aus ihrem Beruf – und nicht wenige in die Erwerbsminderungsrente.

Auf der anderen Seite – und das meine ich mit (mindestens) „doppelte“ Herausforderung der Gesundheits- und Sozialwirtschaft durch die demografische Entwicklung – steigt die Nachfrage nach deren (personalintensiven) Dienstleistungen und damit wächst auch der Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften, man denke hier an die Pflegebedürftigkeit. Eine Kompensation oder gar Substitution dieses (steigenden) Arbeitskräftebedarfs durch Automatisierung und Roboterisierung wie in großen Teilen der Industrie ist schwer bis gar nicht möglich.

Wenn das so ist, dann werden sich die Merkmale einer Mangelwirtschaft, mit der wir heute schon in Teilbereichen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft konfrontiert sind, weiter konturieren und intensivieren. Genau damit, aber auch mit dem hier besonders relevanten Thema der (nicht ausreichend vorhandenen) Arbeitskräfte in diesem so bedeutsamen Sektor haben sich im vergangenen Jahr Wissenschaftler und Praktiker beschäftigt:

➔ Christiane Keitel(2024): Krise im sozialen Sektor: „Das größte Risiko ist, dass grundlegende Leistungen der sozialen Daseinsvorsorge wegbrechen“, in: IAB-Forum, 18.03.2024
»Der soziale Sektor steht im Wettbewerb um Arbeitskräfte schlecht da, zeigen aktuelle Studien. In Teilen beeinträchtigt Personalnot jetzt schon die Erbringung wichtiger sozialer Leistungen. Ein Team von Autor*innen aus Forschung und Praxis hat sich nun zusammengeschlossen, um seine Expertise zu diesem Thema zu bündeln. In ihrem Buch, das heute erscheint, zeichnen Christian Hohendanner, Jasmin Rocha und Joß Steinke ein düsteres Bild dessen, was ohne grundlegende politische Maßnahmen auf den deutschen Wohlfahrtsstaat zukommen könnte. Zugleich zeigen sie Wege auf, um den sozialen Kollaps zu verhindern.«

Bitte das Interview mit den Autoren lesen.

Und das Buch, das dort angesprochen wird, das können Sie tatsächlich kostenlos im PDf-Format downloaden. Machen Sie das bitte:

➔ Christian Hohendanner, Jasmin Rocha und Joß Steinke (2024): Vor dem Kollaps!? Beschäftigung im sozialen Sektor. Empirische Vermessung und Handlungsansätze, Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2024

»Diese Studie bietet eine empirisch fundierte Gesamtschau auf die Beschäftigung in einem der personalintensivsten und am stärksten vom Fachkräftemangel betroffenen Arbeitsfelder in Deutschland: dem sozialen Sektor. Wer das Buch liest, gewinnt ein tieferes Verständnis über Zusammenhänge und die Notwendigkeit, offen über Beschäftigung im sozialen Sektor zu debattieren. Anhand aktueller Daten zeigen die Autoren, dass der soziale Sektor im Wettbewerb um Arbeitskräfte schlecht dasteht. Zunehmend fehlen Arbeitskräfte und grundlegende, bislang als selbstverständlich betrachtete Leistungen der sozialen Daseinsvorsorge können immer häufiger nicht mehr erbracht werden. Die Autoren zeigen Wege auf, wie soziale Berufe wieder attraktiver und der Kollaps des sozialen Sektors (vielleicht) verhindert werden kann.«