„Geringes Vertrauen in gesetzliche Rente – 83 Prozent der Deutschen halten das System für unzuverlässig“ – so lautet die Kernbotschaft, die der „Altersvorsorge-Report 2025“ von Deutsche Bank und DWS in den Medien platziert hat. was für ein Misstrauensvotum gegenüber der Rentenversicherung. Aber wie ist man auf diese 83 Prozent gekommen, die von vielen Medien einfach mal abgeschrieben wurde? Wer hat diese Zahl produziert?
In der Mitteilung der Deutschen Bank findet man diesen erst einmal beruhigend daherkommenden Hinweis: »Für den repräsentativen „Altersvorsorge-Report 2025“ befragte das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag von Deutsche Bank und DWS im August und September 2025 insgesamt 3.200 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren.«
Also das sind „repräsentative Daten“, die uns hier präsentiert werden.
Sind sie das wirklich?
Die Civey GmbH ist ein Berliner Start-up-Unternehmen, das Online-Umfragen für Meinungs- und Marktforschung durchführt, wobei Ergebnisse unmittelbar angezeigt werden. Die Umfragen werden gleichzeitig auf verschiedenen Internetseiten eingeblendet, sodass sich die Umfrageteilnehmer aus Besuchern dieser Seiten rekrutieren. Um hohe Repräsentativität zu erreichen, werden die Umfrageergebnisse anhand weiterer Kriterien unterschiedlich gewichtet. Kritiker zweifeln jedoch an der Qualität der Ergebnisse.
➔ Das Unternehmen Civey wurde 2015 von Janina Mütze zusammen mit Gerrit Richter gegründet, zunächst unter der Firma OMNI TT GmbH. Erster Geschäftsführer war Gerrit Richter, ein ehemaliger SPD-Bundestagskandidat, Politikberater und Referent bei Hans Eichel (SPD), dem ehemaligen Bundesfinanzminister. Neben Richter wurde am 8. Mai 2018 Janina Mütze zur Geschäftsführerin bestellt, von der die Idee zur Gründung stammt und die als das öffentliche Gesicht des Unternehmens bekannt ist. Im August 2016 band Der Tagesspiegel als erstes großes Medienhaus Umfragen des Unternehmens ein. Im Dezember 2016, kurz vor dem Superwahljahr 2017, folgte Spiegel Online.
➞ Im Jahr 2024 hat der SPIEGEL die Zusammenarbeit mit Civey beendet. Dazu dieser Artikel: Die Methodik hinter den Civey-Umfragen, die der SPIEGEL bis Februar 2024 durchführte (25.03.2025). Am Ende des Textes findet man diesen Hinweis: »Sämtliche Angaben zur Methodik und Repräsentativität der durchgeführten Umfragen sowie zum Datenschutz beruhen auf der Darstellung von Civey.«
Die Kritik an Civey bezieht sich hauptsächlich auf die Methodik, die auf nicht-zufälligen Online-Stichproben basiert und daher laut Kritikern keine echte Repräsentativität gewährleistet. Weitere Kritikpunkte sind fragwürdige Ergebnisse, die Medienberichte verzerren können, sowie methodische Schwächen, wie die ungenügende Einbeziehung bestimmter politischer Parteien.
➔ Nicht-repräsentative Stichproben: Civey nutzt Online-Panels, die keine echten Zufallsstichproben sind. Wissenschaftler und Konkurrenten betonen, dass dies zu weniger verlässlichen Ergebnissen führt als bei traditionellen Methoden mit Zufallsstichproben.
Am 26.09.2025 hat Michael Höfele in der Tageszeitung taz diesen Artikel veröffentlicht: Repräsentativ daneben? »Civey wird immer öfter von großen Medien zitiert, obwohl es mit fragwürdiger Methode arbeitet. Die Konkurrenz schaltet den Presserat ein.«
»Wer sich in diesen Tagen für Umfragezahlen interessiert, kommt an Civey kaum vorbei. Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung, Welt, Tagesspiegel, der Fernsehsender Phoenix – viele nutzen die Daten des Berliner Start-ups, das mit einer ganz neuen Methode arbeitet.
Einige renommierte Soziologen sehen das kritisch – und die Konkurrenz ist richtig sauer. Die alteingesessenen Institute Forsa, Infas und die Forschungsgruppe Wahlen haben gemeinsam eine Beschwerde beim Presserat eingereicht, exemplarisch wegen einer Civey-Umfrage bei Focus Online. Der Vorwurf: Von der versprochenen „Repräsentativität“ könne keine Rede sein, die Civey-Methode widerspreche wissenschaftlichen Grundsätzen und wer so etwas veröffentliche, der verletze journalistische Sorgfalt … Was ist passiert? Anders als bei den alten Umfrageinstituten, wird bei Civey gar nicht erst versucht, eine Zufallsstichprobe aus der Bevölkerung zu ziehen. Der Newcomer arbeitet ausschließlich mit Internet-Umfragen, die er auf den Webseiten seiner „Medienpartner“ (Civey) platziert und bei denen jeder abstimmen kann, wer will. Weil das zur Manipulation geradezu einlädt, werden die Daten nachgewichtet und sollen dann „repräsentativ“ sein. Wie genau dieser Prozess abläuft, ist Geschäftsgeheimnis. Die Resultate kann man nur glauben oder eben nicht. Frank Faulbaum von der Uni Duisburg entscheidet sich für Letzteres: „Nahezu alle Qualitätsstandards werden missachtet, Entscheidungsträger sind gut beraten, sich nicht auf diese Ergebnisse zu stützen“, sagt der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Sozialwissenschaftliche Methoden und Empirische Sozialforschung. Und sein Kollege Jörg Blasius von der Uni Bonn findet diverse mathematische und inhaltliche Fehler auf der Civey-Internetseite und urteilt über die Methode: „Das ist längst nicht repräsentativ.“ Blasius hat das „Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung“ mitherausgegeben ….«
»Fakt ist …, dass die Civey-Zahlen immer wieder extrem von denen der großen Institute abweichen.«
Die „alten Institute“ haben zwar auch ihre Probleme, allen voran eine rückläufige Teilnahmebereitschaft. Aber immerhin kommen sie zeitgleich auch zu gleichen oder sehr ähnlichen Ergebnissen.
»Fragt man die anderen Institute, fällt das Urteil über Civey böse aus. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, den man aus dem ZDF als sachlichen Statistiker kennt, spricht plötzlich von „Bullshit“ und „Scharlatanerie“, Forsa-Chef Manfred Güllner nennt die Civey-Leute einen „gefährlichen Gaunerhaufen“.«
Und auch vor Gericht ist die Methoden-Frage gelandet
Im Jahr 2023 berichtet Rainer Burger in der FAZ unter der Überschrift Landgericht Hamburg zweifelt an der Civey-Methode: »Die Klick-Demoskopen von Civey stehen schon seit einiger Zeit in der Kritik. Nun bezweifelt das Landgericht in einem Urteil, dass die Erhebungsmethode des Demoskopie-Instituts repräsentativ ist.« Also ist das schon vor Gericht gelandet. Schauen wir uns den Fall einmal genauer an. Zuerst kommt eine allgemeine Einstimmung:
»Das gar nicht mehr so junge Umfrage-Start-up Civey fällt gerade vor Wahlen mit merkwürdigen Zahlen zu vermeintlichen Erdrutschen, Aufholjagden, Stimmungsumschwüngen, Kopf-an-Kopf-Rennen auf, kurzum mit „kuriosen Kurven“. Obwohl mittlerweile klar sein müsste, dass die auch zu allerlei anderen Anlässen erhobenen Civey-Daten mit Vorsicht zu genießen sind, werden sie von reichweitenstarken Medienpartnern oder auch regionalen Zeitungen unverdrossen weiterverbreitet.«
Um was genau ging es vor dem Landgericht Hamburg?
»Das ebenfalls in Berlin ansässige Institut Forsa hält die zentrale Civey-Werbeaussage für wettbewerbswidrig. Sie lautet: „Profitieren Sie von Deutschlands größtem Online Panel. In der Markt- und Meinungsforschung setzt man inzwischen mehrheitlich auf Online-Fragen. Viele Anbieter nutzen dabei eine Datenbank mit Personen, die sich dazu bereit erklärt haben, an Umfragen teilzunehmen und regelmäßig dazu aufgefordert werden. Dies nennt man Online Panel und Online-Access- Panel.“«
Und was hat das LG Hamburg entschieden? Dazu berichtet Rainer Burger:
»In seinem am 15. September verkündeten Urteil (Aktenzeichen 416 HKO 45/23) hat das Landgericht eine bereits Anfang Juni gegen diese Aussage ergangene einstweilige Verfügung bestätigt – mit einer für Civey verheerenden Begründung. Denn das Gericht bezweifelt die Repräsentativität von Civey-Umfragen. Die Irreführung des Werbeslogans liege darin, dass erhebliche Teile der möglichen Kunden ihn so verstünden, Civey sei mithilfe seiner Datenbank in der Lage, „mittels gezielter Ansprache einer konkret umrissenen Personengruppe repräsentative Ergebnisse zu den . . . zu bestimmten Themen in Auftrag gegebenen Umfragen zu liefern“. Der Firma Civey sei es im Verfahren jedoch nicht gelungen, schlüssig darzulegen, dass die „von ihr praktizierte Methode diese Erwartungen erfüllt“. Umfrageteilnehmer müssten an keiner Stelle erklären, dass sie damit einverstanden sind, regelmäßig an Civey-Erhebungen teilzunehmen und entsprechend regelmäßig dazu aufgefordert zu werden.
Angesichts der Unverbindlichkeit, die Civey seinen Nutzern ermögliche, sei es auch nicht absehbar, wie sich der Teilnehmerkreis der jeweiligen Umfrage zusammensetzen werde. „Es ist daher schwer vorstellbar, dass Umfragen, die in einem derart unverbindlichen Rahmen stattfinden, dazu geeignet sind, in kurzer Zeit repräsentative Umfrageergebnisse zu konkret umrissenen Themen zu liefern.“ Auch dürfte es Civey nach Einschätzung des Landgerichts „nicht immer – oder nicht zeitnah – gelingen, eine ausreichende Anzahl von Teilnehmern zu generieren, sodass die gewonnene Stichprobe nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit ist“.«
➔ Die Entscheidung des Gerichts im Original finden Sie hier: LG Hamburg, 16. Kammer für Handelssachen, Urteil vom 24.Juli 2025 , Az: 416 HKO 51/23
Zur Einordnung des Urteils des LG Hamburg
»Ein abermaliger Blick auf die Civey-Erhebungsmethode hilft, die Tragweite der Urteilsbegründung aus Hamburg besser einordnen zu können. Anders als die Forschungsgruppe Wahlen, Infratest Dimap, das Institut für Demoskopie Allensbach oder Forsa erhebt Civey seine Daten nicht auch per Telefon, sondern mittels eines Klicktools, das auf den Websites seiner Medienpartner oder über die eigene Homepage der Klickdemoskopen zu sehen ist. Während die etablierten Institute großen Wert auf methodisches Handwerk legen und sich um wirklich repräsentative Zufallsstichproben bemühen, kommen die Stichproben von Klickdemoskopen – wie nun im Fall Civey vom Landgericht Hamburg moniert – irgendwie zustande. Denn Nutzer werden nach dem sogenannten River-Sampling-Verfahren rekrutiert. Ähnlich wie ein Angler seine Rute auswirft, so fischen Klickdemoskopen wie jene von Civey im digitalen Medienstrom nach Befragungspersonen. Wer anbeißt, darf abstimmen.
Wissenschaftler monieren schon lange: Solche Onlineerhebungen können, anders als behauptet, nicht repräsentativ sein. Rainer Schnell, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen, hat Anfang August in einem „Wie man sich eine Studie backt“ überschriebenen „Zeit“-Interview ein anderes anschauliches Bild zu dem Umstand geprägt, dass Institute wie Civey nur diejenigen Personen erreichen, die auf den fraglichen Webpages surfen: „Mit der gleichen Logik könnte man Fragebögen an einer Autobahnraststätte auslegen. Dann würden nur Reisende an der Umfrage teilnehmen.“«
Und was diskutiert die Wissenschaft zu den Methodenfragen?
Eine ganz gute Übersicht dazu finden Sie beispielsweise in dieser Veröffentlichung aus der Konrad-Adenauer-Stiftung:
➔ Sabine Pokorny und Dominik Hirndorf (2024): Online, offline oder beides? Umfragemethoden im Praxistest. Analysen & Argumente, Nr. 519, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, Januar 2024
Aus der Zusammenfassung:
»Die drei Erhebungsmethoden im Telefon-, Online- und Mixed-Mode-Verfahren unterscheiden sich aufgrund der Stichprobenziehung in ihrer Qualität. Während Telefon-Verfahren auf reine Zufallsstichproben setzen, werden in Online-Erhebungen mit Nicht-Zufallsstichproben nur Personen erreicht, die eine gesteigerte Bereitschaft zur Teilnahme aufweisen. Die Ergebnisse von Nicht-Zufallsstichproben schwanken ungewöhnlich stark und liefern daher unzuverlässige Ergebnisse. Gewichtungen sind kein Garant für Repräsentativität. Sie können fehlende Gruppen („Offliner“/ältere Menschen) nicht ausgleichen. Unbekannte Abweichungen werden durch Gewichtungen nicht korrigiert, sondern ggf. verstärkt. Mixed-Mode-Verfahren können soziodemografische Probleme der Telefon-Methode lösen, bringen jedoch qualitative Mängel durch die nicht-zufallsbasierte Stichprobenziehung im Online-Teil mit sich.«